Wer hat an dem Sound gedreht?
/ Welt am Sonntag

Still ist es auf den Fotografien von Jitka Hanzlová. Wasserstrudel, tänzelnde Pferde, Gräser im Wald, Handtücher auf Wäscheleinen oder Menschen, die in ihrer Umgebung stehen und ebenso aufrecht wie verletzlich in die Kamera blicken – was immer die Künstlerin ablichtet, wirkt, als habe jemand den Sound abgedreht. Man steht davor und hat plötzlich Zeit für die Zwischentöne, die auf diesen tastenden Aufnahmen spürbar sind. Stets im Hochformat, wirken sie allesamt wie Porträts. Oft scheinen sie überbelichtet oder nachkoloriert, was ihnen eine malerische, oft traumartige Qualität verleiht. Hanzlovás Handschrift ist in der Fotografie einzigartig – und obwohl sie in den Neunzigerjahren an der Folkwang Schule in Essen studierte, wird sie nie in einem Atemzug mit den berühmten Fotografen dieser Zeit und dieser Gegend genannt, den Becher-Schülern Andreas Gursky, Thomas Ruff und Thomas Struth. Zu eigen, zu klein, zu poetisch sind ihre Arbeiten – keine Spur von den coolglatten, smart ergedachten Bildern, die die Fotografie damals endgültig in den Kunstbetrieb hoben. Doch Hanzlová dürfte das egal sein. Sie arbeitet langsam, in nie enden wollenden Serien, wie der über das Wasser, die nun in der Galerie Kicken in Berlin zu sehen ist. Sie fächert das Thema sanft auf wie ein Kaleidoskop voller Pausen – Türkis leuchtende Eisberge, auf Wellen schaukelnder Müll, fellige Kuhgesichter im Dunkel, Tretboote in Rennautoform, schaumig umspülte Felsformationen, Spuren im Schnee auf Eisoberflächen, in grünen Wellen gebrochenes Licht: All das ist so zart und zeitlos, so strahlend und doch so durchdrungen von Vergänglichkeit und Tod, dass es in keinen Trend passt.

 

Tatsächlich wollte Jitka Hanzlová gar nicht nach Essen, und schon gar nicht an die Folkwang Schule. Als sie 1983, mit 24 Jahren aus der damaligen Tschechoslowakei nach Deutschland floh, fuhr der Zug, in dem sie saß, zufällig nach Dortmund. Was sie mit ihrer Zukunft machen wollte, wusste sie nicht. Aber dann schenkte ihr ein Bekannter eine Kamera, und sie begann, zu fotografieren. Zuerst reizte sie die Reportage, sie schickte ihre Aufnahmen an den Stern, der sie druckte – aber die Aufmachung passte ihr gar nicht. Und so wandte sie sich vom Journalismus ab, bevor sie damit überhaupt angefangen hatte. Dann fiel die Mauer. Jitka Hanzlová, die eigentlich gedacht hatte, dass sie ihre Heimat nie wiedersehen würde, fuhr erst nach Berlin und dann nach Prag, und von dort aus weiter in ihr Heimatdorf. Hier entstand 1990 bis 1994 „Rokytnik“: Bilder von Menschen in grünen Landschaften, denen das Grau des Kommunismus eingeschrieben ist. So bukolisch See, Baum und Feldweg wirken, so gezeichnet sind die Frauen in billigen Blumenkleidern, das Kind auf der alten Matratze und der Mann auf der brüchigen Gartenbank. Und dann wieder die pralle Farbigkeit des Blumenstraußes auf einem biederen Wohnzimmertisch, lapidar angeschnitten statt in Szene gesetzt.

 

Es ist diese Beiläufigkeit und diese hohe Sensibilität, mit der Jitka Hanzlová damals ihre Bildsprache findet. All ihre späteren Serien sind davon geprägt. Ob sie mit „Forest“ (2000-2005) mit der Kamera durch die Wälder zieht, weil sie für sie als Kind so wichtig waren (bis heute lebt Jitka Hanzlová in Essen, weil sie dort den Wald hinterm Haus hat), ob sie mit „Female“ (1997-2000) Frauen portraitiert, die allein durch ihr Antlitz Charakter und gelebtes Leben verströmen oder ob sie mit „Horse“ (2007-2014) ihre märchenhafte, überirdisch schöne und faszinierende Serie mit Pferden erstellt, deren Mähnen, Felle und Augen so anmutig sind, dass es einem den Atem verschlägt: Jitka Hanzlová verwandelt die Poesie des Lebens in eine vollkommen eigenständige, überaus empfindsame Art der Fotografie, wie es außer ihr nur wenige ihrer Zeitgenossen schaffen. Die Arbeiten der Serie „Water“ (2013-2019) zeigen einmal mehr und vielleicht intensiver denn je, wie Feingefühl, Humor und konzeptioneller Weitblick bei Jitka Hanzlová ineinandergreifen. Wasser wird als etwas verstanden, das allem Leben innewohnt. Die Bandbreite des Themas – von belebten Strandpromenaden aus Asphalt bis hin zu Wolkenformationen – zeigt, dass die Künstlerin nicht nur in langen Zeiträumen an einer Serie arbeitet, sondern dass sie deren Grundprinzip immer wieder neu denkt und darin lauter neue Momente und Ausdrucksformen entdeckt. Auf diese Weise entsteht bei „Water“ eine Vielfalt, die sich bis ins Unendliche weiterträumen lässt. Die irisierende Farbigkeit, die Jitka Hanzlová in ihrem Werk an den Tag legt, fächert sich auch hier auf wie ein Regenbogen. Und wie bei einem Regenbogen treffen Hell und Dunkel, Unbekümmertheit und Bedrohung aufeinander. Vielleicht habe das Grau des Ostblocks, unter dem sie so gelitten hat, sie dazu gebracht, diese eindringliche Farbigkeit auf ihren Bildern zeigen zu wollen, sagt Jitka Hanzlová. Vielleicht war es aber auch der Drang, die Brutalität der Wirklichkeit mit Fantasie zu tränken. Eben das, was gute Kunst macht.